Strohhalm Hoffnung

-So zieht die Angst aus dem Sinn-

Hey, hier bin ich mal wieder. Zur Erinnerung: vor einem Jahr habe ich schon einmal geschrieben, Thema: „Ich und Dankbarkeit“(**). Wie ist es euch in den letzten Monaten ergangen unter der Glocke der Corona-Pandemie und mit all den Einschränkungen? Mir ging es ganz mies. Ich lade euch ein zu einer Reise durch meine Gefühlswelt.

Ich, „ m/w/d“ - geboren zwischen 1995 -2005

„ Es war ein anderer Sommer, es war ein anderes Jahr, Kopfüber, seltsam, nichts wie es war, es war ein anderer Som- mer“(Songtext Silbermond). Sie hat mich gepackt diese Pandemie mit massiven Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Lockdown, Homeschooling. Keine Konzerte im Park, kein chillen am See mit Freunden und Kaltgetränken, kein Abtanzen im Club, kein Caffè Latte an der Ecke.......Nachrichten bestehend aus Zahlen, Inzidenz, Neuinfektionen, Todesfälle und schreckliche Bilder aus vielen Ländern. Ständig melden sich Virologen, Wissenschaftler, Ärzte, Politiker und natürlich Verschwörungstheoretiker zu Wort. Dazu kommen ständig Fake News im Netz und natürlich die zahllosen Influencer. Hass und Verletzungen sind an der Tagesordnung. Und wieder eine Meldung vom RKI...... Wie kann ich all das sortieren, denn ich habe erhebliche Probleme mit mir selbst:

Es ist ein heftiges Schuljahr. Ich fühle mich allein. Kein Kontakt zu Lehrerin oder Lehrer, da keine Mail-Adressen bekannt sind. Einige bewegen sich aus ihrer „Studienrat-Komfortzone“ nicht heraus, kein Engagement. Dann plötzlich Aufgaben für vier Wochen. Wie kann ich das schaffen und technisch lösen?

Meine Eltern beide im Homeoffice, meine beiden Geschwister müssen sich auch mit Homeschooling durchschlagen. Alles in einer Wohnung mit 89 m². Alle sind angespannt, gereizt und die Nerven liegen blank. Nachts finde ich keinen Schlaf und am Tage bin einfach nur müde, zerschlagen, ausgelaugt.
„Es ist drei Uhr nachts, ich ruf jeden an, den ich kenn, die ganzen Namen in meinem Handy, ist noch irgendjemand wach? Ich bin allein hier, drei Uhr nachts“ (Songtext Mark Forster, Lea).

Matteo: „Mein Tag startet um 8 Uhr und endet um 22 Uhr, und ich sitze die ganze Zeit vor dem Computer. Meine Mit- bewohner, sehe ich tagelang nicht. Der 450-Euro-Job im Bistro ist weggefallen. Kein Anspruch auf Bafög. Ich würde gerne wieder zurück an die Uni, unter welchen Auflagen auch immer.“


Sina: „Die Schließung der Schulen, das Warten, die abgesagten Klausuren, das Lernen alleine daheim. Mit Glück habe ich das Abi geschafft. Danach ein halbes Jahr als Au-pair nach Australien, Asienreise, ein vierwöchiges Praktikum bei  einem Radiosender. Hat sich alles zerschlagen wegen Corona.“

Jan: „Meine Ausbildung gerade noch abgeschlossen. Die Übernahmezusage ist von der Firma kurzfristig zurückgenommen worden wegen der Corona-Krise.“

Sophie: „Wir wussten nicht, wie gut wir es hatten.Wir haben gemerkt, dass das, was wir haben, nicht selbstverständlich ist. Nach der Pandemie werden wir uns deswegen anders begegnen, selbstloser und glücklicher sein. Wir werden uns über jede Umarmung freuen, die vorher ganz normal für uns war.“

Und wie komme ich zur Ruhe? Gerade habe ich von meiner Freundin Lena die Nachricht erhalten, dass ihre Oma im Krankenhaus ganz einsam gestorben ist. Wie soll ich sie trösten ohne Umarmung, ihren Schmerz teilen? Geht nicht mit WhatsApp, Facebook, TikTok, Twitter, auch nicht mit Skype oder FaceTime. Ein Bild ersetzt keine Berührung, kein Abwischen der Tränen. Nur stumpfe Bilder und Zeilen.
Meine ehemalige Babysitterin Christina habe ich im Hausflur getroffen. Nach 16 Stunden Dienst auf der Intensivstation kam sie nach Hause. Unsere Blicke trafen sich und ehe sie was sagen konnte, brach sie in Tränen aus. Auch hier kann ich sie nicht umarmen, nur mit ihr weinen vor Schmerz.

Ein Schulfreund bietet mir über das Netz „Stimmungsaufheller“ an. Will ich aber nicht, habe schlechte Erfahrungen damit auf einer Party gesammelt. Also Kopfhörer auf und schrille, laute Musik drauf und ab in den Park zum Joggen.
Hilft aber nur bedingt und nach dem Duschen befinde ich mich wieder im „Gedankenkreislauf Corona“.


Da bekomme ich eine Mail von meiner neuen Beach-Partnerin Laura. Drei Trainingseinheiten mit ihr und wir haben uns blind verstanden, auch menschlich ist sie nicht zu toppen. Jetzt kein Aufschlag, kein Block, einfach null. Aber nun schreibt sie, dass sie im nächsten Schuljahr auf ein Sportinternat wechseln wird. Wieder ein Tiefschlag und Tränen.
Der Profifußball rollt, sogar mit EM. Ist ja schließlich „Systemrelevant“!
Die Nachrichtenlage wird durch die Pandemie fast vollständig abgedeckt. Doch da ist plötzlich noch ein Thema: die Kirche, meine Kirche: Massenflucht aus der Kirche, Missbrauchsgutachten, Amtsverzicht von Bischöfen, Maria 2.0, Synodaler Weg, Richtungsstreit, Segen für homosexuelle Paare, ZZusammenschluss von Kirchengemeinden zu Seelsorgeeinheiten. - Noch bin ich in der Kirche und Kirchensteuer zahl ich ja auch noch nicht. Und dann? Ja, ich habe den Gottesdienst zu Weihnachten und Ostern vermisst. Aber jetzt ist auch hier kein Ruhepol mehr für mich. Habe ich meinen Glauben gänzlich verloren? Auch das macht mir irgendwie Angst und ich fürchte mich vor der Zukunft.


„ Wenn der Glauben verloren gegangen ist, dann sollten wir auf die Suche gehen. Wo habe ich ihn zuletzt gesehen, was habe ich dann gemacht, was oder wer hat mich abgelenkt ? Freilegen, aufräumen.....es gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Wo liegt er? Was hält ihn versteckt? Aufdecken, frei machen, alles wegnehmen, was zudeckt, im Keim erstickt.“ (Domkapitular Dr. Christof May, Predigt 13.06.21 Limburg).

„Wer Glauben hat, der zittert nicht. Er überstürzt nichts, er ist nicht pessimistisch, er verliert nicht die Nerven. Glauben, das ist die Heiterkeit, die von Gott kommt.“ (Papst Johannes XXIII.)

Meine Freundin Zoe schickt mir einen Link von einem Video mit dem Lied „Ein Licht in dir geborgen“. Aufgenommen von einer Kirchenband mit tollen Hintergrundbildern. Ich spiele das Video 3- mal, 4 -mal – irgendwie krass. Ich kriege den Refrain nicht mehr aus dem Kopf:

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So wie die Nacht flieht vor dem Morgen,

So zieht die Angst aus dem Sinn,

So wächst ein Licht in dir geborgen,

Die Kraft zum Neuen Beginn.“

 

Da hat sich plötzlich etwas in mir getan. Kann ich auch nicht erklären. Zoe berichtet mir von ihrem „Einsatz“ in der Kirchengemeinde. Dort hat sie mit anderen jungen Leuten den Gemeindegesang übernommen, da ja das Singen lange nicht erlaubt war. Was bewegt junge Menschen sich dafür so einzusetzen?

„In der Dommusik lernte ich nicht nur das Singen, sondern auch Verantwortung zu übernehmen. Es prägt meine Persönlichkeit bis heute und ich durfte in einer einzigartigen Gemeinschaft aufwachsen. Allein deshalb ist es mir wichtig, die Kirche weiterhin zu unterstützen. Die Menschen in Gottesdiensten und Konzerten mit dem Gesang zu erreichen, ist ein sehr schönes Gefühl und wer singt betet bekanntlich doppelt. Ich hoffe natürlich dringend auf eine zeitgemäße Entwicklung und würde mich wirklich freuen, wenn das was tagtäglich gepredigt wird auch Wirklichkeit wird. Die Aufgabe der jungen Generation sehe ich nicht darin sich zu entziehen oder distanzieren, sondern aktiv etwas zu verändern. Wenn ich durch die musikalische Gestaltung etwas dazu beitragen kann, ist das schon einmal ein guter Anfang!“ (Paula M., Limburg-Elz, -Kantorin-)

Das hat mich nun neugierig gemacht und ich beginne bei YouTube nach Kirchengemeinden zu suchen, die über Live-Stream ihre Gottesdienste übertragen. Ich bin erstaunt wie viele Gemeinden über ihren Kanal versuchen ihre Gläubigen zu erreichen. Und wieder sehe ich junge Menschen, die sich in den Gottesdiensten echt stark engagieren. Priester, die keine „ Theologievorlesung“ über das Sonntagsevangelium über 20 Minuten den Gläubigen zumuten, sondern in einer verständlichen Sprache ihre Predigt vortragen. Ja, da werden die Zuhörer förmlich angesprochen, mitgenommen in ein Gespräch wie unter Freunden. Im Abi-Gottesdienst des Mariengymnasiums Papenburg spielt man den Schlager: „ Was für eine geile Zeit, das sind unsere Jahre“.(Ben Zucker). Der Pfarrer i.R. Ewald (63 Priesterjahre!) spricht von „ viri probati“ und stellt das lange Theologiestudium und die bis zu 5 Fremdsprachen für Priesterkandidaten in Frage. Trotz Verbot werden Segensfeiern für homosexuelle Paare gehalten. Auch das Messbuch lässt Platz für freie Formulierungen durch den Zelebranten.

Beim Discounter um die Ecke steht auf einem Aufsteller:„ Die Vielfalt einpacken“. Nehmen wir die Vielfalt und packen sie in unserer Kirche aus. Lassen wir die bunten Farben auf uns wirken und atmen wir die verschieden Aromen ein, die uns entgegenströmen. Dann werden wir Bewegung spüren in unserem Innersten. Der Glaube darf nicht nur im Kopf steckenbleiben, er muss unter die Haut gehen. So sollte eben nicht jede Bewegung nach vorn im Keim erstickt werden. Auflockern und für einen guten Nährboden sorgen. Nur so kann etwas neues entstehen. Einen Gegenpol zu den Influencern schaffen, die täglich ihr Evangelium verkünden und millionen Follower senden per Klick ihr Credo an sie zurück. Nach dem Motto: „Ich poste, also bin ich. Poste ich nicht, bin ich nichts.“

Ich bewege mich mit den Wellen der Pandemie. Impfen ja oder nein. Natürlich habe ich mich impfen lassen, dass bin ich meinen Mitmenschen schuldig. Und auch unsere junge Generation hat Verantwortung. Am Anfang gegenüber den Älteren, jetzt gegenüber unserer eigenen Generation. Ein wenig Hoffnung kommt auf. Doch dann urplötzlich diese Nachrichten: Hochwasserkatastrophe bei uns im Land, riesige Waldbrände in Sibirien, Südeuropa, Kalifornien, Erdbeben auf Haiti, New York unter Wasser. Gewalt und Tragödien in Afghanistan. Ein Foto trifft mich: Die 23-jährige Marineinfateristin Nicole Gee rettet ein afghanisches Baby in Kabul und hält es im Arm. Wenige Tage später kommt sie durch einen Selbstmordattentäter ums Leben. - Und jetzt spüre ich wieder Ohnmacht und Furcht vor der Zukunft. „So wie die Nacht flieht vor dem Morgen, so zieht die Angst aus dem Sinn, so wächst ein Licht in dir geborgen, die Kraft zum Neuen Beginn.“

Ich finde mich in einer Kirche wieder und entzünde eine Opferkerze. Da fällt mir ein Gebetszettel in die Hände:

Guter Gott,

Auch wenn die Sterne von den Wolken verhüllt sind,

wenn die Dunkelheit uns zu verschlucken droht.

Deine Zusage an uns gilt,

du bist bei uns Halte uns geborgen,

begleite uns durch die Täler unseres Lebens.

Amen

Ich halte mich an dem dünnen Strohhalm Hoffnung fest. Möge er zu einem dicken Tau werden, das mich hält und ein Stück wieder in den Glauben, in die Gemeinschaft, ja auch in die Kirche zieht. Danke, dass ihr mich ein Stück durch meine Gefühlswelt begleitet habt.

(Autor: Klaus-Peter Lokai)

**(www.katholische-kirche-uelzen.de /Kirche trotz Corona/ Leben in Dankbarkeit)